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Kaiserverlag

Milena (Serbien) Markovic

Milena Marković
ist 1974 in Belgrad geboren und studierte an der Fakultät der Dramatischen Künste der dortigen Universität. Sie debütierte mit ihrer Diplomarbeit „Pavillons - wohin ich gehe, woher ich komme und was wir zum Abendessen haben" am Dramatischen Theater in Belgrad (2001). Es war bald in weiteren Ländern Ex-Jugoslawiens zu sehen.
„Schienen", ihr nächstes Stück, entstand während eines Workshops am Royal Court Theatre in London und hatte die erste Aufführung in Wien. Die Inszenierung des Dramatischen Theaters in Belgrad wurde 2004 bei der Theaterbiennale gezeigt. „Der glühende Wald“ wurde zuerst am Zürcher Schauspielhaus aufgeführt und 2008 am Atelje 212 in Belgrad, das auch „Das Puppenschiff“ uraufgeführt hat. Ihrem ersten Lyrik-Band von 2001 folgten zwei weitere. Sie hat zwei Drehbücher für einen Dokumentar- und einen fiktionalen Film verfasst.

Theater Heute, 06/04

«Ich weiß nicht, was Freiheit ist»
Ein Gespräch mit der Belgrader Autorin Milena Markovic über die Generation der heute 30-Jährigen und über ihr zweites Stück «Schienen» («Tracks»), diesen Monat auf der Biennale in Wiesbaden zu sehen

Branka Schaller: Sie sind halb Serbin, halb Montenegrinerin. Spielen diese unterschiedlichen Wurzeln in Ihrem Leben eine Rolle?
Ich habe sogar albanisches Blut in mir! Ich sage immer, meine Großmutter arbeitete auf dem Feld, als ein netter junger Moslem des Weges kam ... Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass hier irgend jemand ethnisch «rein» ist. Es gibt ohnehin keine Unterschiede zwischen den Völkern. Ich will nicht nostalgisch klingen, aber Jugoslawien war für uns immer noch die beste Periode und auch die einzige Lösung für diese Region. Außerdem hat der Vielvölkerstaat ermöglicht, dass diese kleinen Kulturen bewahrt werden konnten und sich entwickelten.
Schaller: Ist kulturelle Identität ein wichtiges Thema für Sie?
Markovic: Mein Stück «Pavillons» trägt den Untertitel «Woher kommst du, wohin gehst du und was gibt es zum Abendessen?» – Dinge, die man wissen muss. Mentalitätsdiskussionen interessieren mich nicht, das ist so, als ob man über Horoskope redet. Wenn ich eine Figur entwickele, komme ich ja auch nicht auf die Idee, mich zu fragen, welches Sternzeichen sie sein könnte. Wenn man über Nationalitäten sprechen möchte, sollte man lieber über Zivilisationen sprechen.
Schaller: Das heißt, Sie fühlen sich als Weltbürgerin?
Markovic: Jüngere Künstler aus Serbien befürchten oft, dass sie aufgrund ihrer Herkunft beurteilt werden, weshalb sie versuchen, europäischer zu sein als die Europäer. Diese Sorge teile ich nicht, ich bin Internationalistin, so bin ich erzogen worden.
Schaller: Ist das nicht eine Haltung, die man sich nur unter bestimmten Voraussetzungen leisten kann?
Markovic: Die Menschen hier waren über vierzig, fünfzig Jahre ein gutes Leben gewöhnt, so dass es sie verständlicherweise sehr trifft, nun einen so niedrigen Lebensstandard zu haben. Für sie ist es wahrscheinlich schlimmer als für Leute, die von jeher an Armut gewöhnt sind. Solange mächtige Staaten kleinere, schwächere Länder kontrollieren wollen, wird auch ein kleiner Teil der Menschheit gut leben, während die meisten arm sind.
Schaller: Wie würden Sie Ihre Arbeit als Schriftstellerin beschreiben?
Markovic: Schwierig! Ich habe drei Stücke und zwei Lyrikbände verfasst und kann meine eigenen Texte schwer beurteilen oder verteidigen. Ich war ein Sprachfreak, ein Fan von Dylan Thomas. Ich verehre Marija Zwetajewa, ich kann ihr Herz in ihren Versen schlagen hören. Überhaupt liebe ich russische Poesie, vor allem die des frühen 20. Jahrhunderts. Auch Walt Whitman, Ezra Pound! Mein eigener Stil ist gekennzeichnet von einer so deutlich vereinfachten Alltagssprache, dass sie dadurch artifiziell wird. In meinen Dramen suche ich eine ähnliche Form der Einfachheit.
Schaller: Liegt Ihrem Schreiben eine bestimmte Methode zugrunde?
Markovic: Ich denke in kleinen Netzen, aus denen sich das Gerüst meiner Texte ergibt. Dabei beginne ich immer mit einer Emotion, einem Gefühl, um das herum ich die Netze spinne. Dann versuche ich, kurze, reine, dabei poetische Dialoge zu schreiben. Ich unterscheide nicht wirklich zwischen den Figuren, während ich schreibe, das mache ich später, und sehe anhand des Sprachstils, wer spricht.
Schaller: Die Dialoge in «Schienen» sind nicht nur rein und poetisch, sondern auch sehr trocken – die Figuren gehen nicht gerade zimperlich miteinander um.
Markovic: Das mag sein – aber es ist nicht zynisch gemeint. Ein Beispiel aus meinen jüngsten Kino-Erfahrungen: Fatih Akins «Gegen die Wand» hat mich begeistert, Tarantinos Filme mag ich hingegen nicht. Ich möchte nicht dabei zusehen, wie ein Mensch ohne Würde stirbt. Die Form ist rebellisch, der Inhalt aber nicht.
Drei Jungen und der Krieg
Schaller: Würden Sie sagen, dass die Figuren in «Schienen» Würde haben?
Markovic: Ja, jeder, der zu echten Emotionen fähig ist, hat Würde. In «Schienen» versuche ich, die Geschichte dreier Jungen zu erzählen, vor, während und nach dem Krieg. Ich habe sie abstrakt gehalten, den Held, das Ekel und den Depp. Ich versuche, kleine Momente aus dem Leben dieser verlorenen Jungen zu zeigen, die sie verändert haben. Nur über das Gefühl. Daraus kann man die Sicht auf eine ganze Generation ableiten. Zugleich habe ich versucht, die drei so abstrakt wie möglich zu halten, weil ich ihre Jugend, ihre Leidenschaften und ihre Manipulierbarkeit darstellen wollte, ihre Unschuld und ihre Ängste. Es sollte so wirken, als ob es sich überall auf der Welt abspielen könnte. Das gilt auch für die weiblichen Rollen, die alle «Möschen» heißen und möglichst von einer Schauspielerin gespielt werden sollten.
Schaller: Ist «Schienen» auch ein Stück über das Verhältnis zwischen Männern und Frauen?
Markovic: Es geht um Liebe, nicht um Sexismus. In der ersten Geschichte möchte «Möschen» um jeden Preis Teil der Jungsclique sein; in der zweiten ist sie eine Frau um die dreißig, kein Opfer, aber sehr liebesbedürftig. Ja, es geht im Grunde um Missverständnisse. Die einzige wirkliche Liebe im Stück ist diejenige zwischen dem Helden und dem Ekel, eine freundschaftliche, keine homoerotische Liebe.
Schaller: Es gibt verschiedene Schlussfassungen von «Schienen».
Markovic: Die Aufführungsfassung unterscheidet sich vom gedruckten Text. Es gibt nur die beiden Figuren, die sich einer sehr merkwürdigen, obszönen Sprache bedienen, doch ich ziehe letztlich ein poetisches Ende vor.
Schaller: Was also ist das Spezifische dieser jungen Generation?
Markovic: «Schienen» handelt von meiner eigenen Generation, Menschen, die um 1990 Teenager waren. Diejenigen, die zwischen 1968 und 1970 geboren sind, hatten noch Möglichkeiten; viele gingen in Ausland. Später waren die Kids isoliert, sie blieben in Serbien, schauten aber MTV. Ich hing noch mit Punks in London herum, da kamen plötzlich die Sanktionen, und die Jugend wusste nicht mehr, was sich auf der anderen Seite des Vorhangs abspielte.
Schaller: Wofür stehen die «Schienen»?
Markovic: Es gibt einen sehr morbiden, sentimentalen New-Wave-Song von Gary Nyman and the Tubeway Army, der «Tracks» heißt. Das trifft so die Stimmung des Stücks. Schienen stehen für mich auch für die Vorstädte, die Peripherie. Und an der Peripherie befindet sich auch mein Land. An der Grenze. Schienen bedeuten für mich persönlich aber auch Sicherheit, denn wenn ich zwischen den Schienen lief, war ich weit genug von den Häuserreihen entfernt und wusste, dass mich niemand überfallen und ausrauben würde.
Schaller: Und was hat Ihre Generation jetzt zu erwarten?
Markovic: Was ist ein 40-jähriger Arbeiter wert auf dem Markt? Die Infrastruktur ist zusammengebrochen, die Wirtschaft ebenfalls, vor allem nach den Bombardierungen. Diese ökonomische Misere ist das Schlimmste. Die Situation in Bosnien und Kroatien ist nicht viel besser, und die ausländischen Truppen werden nicht noch hundert Jahre dort bleiben. Die Mittelklasse existiert nicht mehr, und am übelsten trifft es in Übergangsländern wie unseren die Arbeiter. Und dabei sprechen wir noch nicht mal über die Frustration angesichts der ungeklärten territorialen Fragen! – Ich selbst habe Glück, bin mit Perspektiven aufgewachsen. Ich bin eine ziemlich erfolgreiche Autorin, mein Partner (Oleg Novkovic) ist ein ziemlich erfolgreicher Filmregisseur. Doch jedes Mal, wenn wir ein neues Projekt beginnen, fangen wir wieder ganz von vorn an.
Schaller:Woran arbeiten Sie zur Zeit? Werden Sie Ihre Zusammenarbeit mit dem Jugoslawischen Nationaltheater fortsetzen?
Markovic: Ich hoffe, dass das JDP an meinem nächsten Stück interessiert sein wird, weil es das wichtigste Theater in Belgrad ist und meine beiden ersten Stücke dort sehr erfolgreich laufen. Außerdem habe ich ein Drehbuch für Oleg Novkovic beendet und warte nun auf den Film, weshalb ich die Arbeit an meinem Drama zurückgestellt habe. Darin versuche ich, eine sehr radikale Geschichte über Gewalt und Manipulation, Einsamkeit und Liebe zu erzählen, wobei ich auf bekannte Märchen zurückgreife.
Schaller: Wohin bewegt sich die serbische Szene im Moment?
Markovic: Es gibt Geld für das Theater, denn was Produktions- und Personalkosten angeht, ist es immer noch wesentlich billiger als der Film. Außerdem begleitet das Theater weiterhin eine kulturelle Aura, die jeden Politiker, der es unterstützt, gut aussehen lässt – egal, welcher Couleur. Es gibt hier jedoch kaum noch Leute, die wirklich über die Qualität eines Stücks urteilen können. Das gilt für die gesamte Region. Viele Karrieren beginnen im Ausland, wo es eine viel größere Szene gibt. Unserer Szene fehlt der Kompass.
Schaller: Ermöglicht das Fehlen eindeutiger Kriterien nicht vielleicht auch mehr Freiheit?
Markovic: Nein, es gibt lediglich die künstliche Freiheit des Markts. Wenn man das Etikett «radikaler Künstler» trägt, ist man bereits Teil der Entertainment-Industrie. Ich weiß nicht, was Freiheit ist. Nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat, vielleicht. So heißt es doch in diesem Song.
Das Gespräch führte und übersetzte Branka Schaller, Dozentin für deutsche Literatur an der Universität Novi Sad.

Milena (Serbien) Markovic

Stücke der Autorin/des Autors

Pavillons

Wohin geh ich, woher komm ich, und was gibts zum Nachtmahl
Originaltitel:Paviljoni ili kuda idem, ...
5D / 5H / 1DEK

Puppenschiff, Das

Ein abendfüllendes Schauspiel
Originaltitel:Brod za lutke
Frei zur DEA
3D / 3H / Simultanbühne

1D / 8H / / Doppelbes. / Sim