- Autor:
- Felix Mitterer
- Typ:
- Sieben Einakter
In einer modernen, futuristisch-kühlen Welt sündigen Menschen einer zukünftigen Generation. Sie bewegen sich fremdartig und Außerirdischen gleich. Mit auffälligen Gesichtsdeformationen und in düstere Mäntel gehüllt, begehen sie in lichtumschrankten, sterilen Räumen die sieben Todsünden. Hochmut, Trägheit, Unzucht, Zorn, Geiz, Neid und Unmäßigkeit sind fernab eines tradierten, kirchlichen Moralbegriffs die Vergehen einer erstarrten, unheimlichen Menschheit, deren Sündigkeit seltsam entrückt, nahezu unfassbar und undefiniert sich in Handlungen entlädt, die den Begriff der Sünde teilweise umkehren, neu beleuchten und gleichzeitig als literarische Botschaft des Autors eine untrügliche Moral manifestieren, die in ihrer Sichtweise ebenso fremdartig erscheinen mag, jedoch niemals unsolidarisches, liebloses Verhalten gegenüber den Menschen und der Gesellschaft zulässt.
Aber auch in dieser zukünftigen Welt, in der der Glaube an die Gerichtsbarkeit des Jüngsten Tags scheinbar nie existiert hat, gibt es eine Bestrafung – die Sünden dieser fern von uns existierenden Wesen richten sich unabwendbar und schlussendlich immer gegen sie selbst. So bleibt der Mann, der in maßlosem Hochmut und der Überschätzung seiner Person ein genetisches Ebenbild seiner selbst erschaffen ließ, bar jeder Hoffnung, in Verzweiflung und Enttäuschung zurück. Zorn endet in Fanatismus und kaltblütigem Mord, Geiz und vordergründige Nächstenliebe im Tod und Neid, Egoismus sowie Vorteilsdenken in einem Blutbad.
Und plötzlich ist diese scheinbar so fremde, ferne Welt, dieser lebensunfreundliche und feindliche Planet unsere alltägliche Welt geworden, in all ihrer Perversität, Amoralität, Lieblosigkeit und Kälte. Dieses Szenario einer Zukunft, von der man hofft, dass sie nie eintreffen mag, ist mit seinen psychischen und physischen Morden, mit Kindesmissbrauch, Genmanipulation, politischem Irrationalismus und Fanatismus sowie der übermächtigen Präsenz einer trügerisch virtuellen und voyeuristischen Medienwelt schon längst ein Spiegelbild unserer "unheimlichen" Existenz in der sich Hoffnung lediglich als ein banales und lächerliches Element einer Fernsehtalkshow entpuppt.
Trotz der skurrilen Distanz und Befremdlichkeit, die es hervorruft, ist Felix Mitterers "Tödliche Sünden" ein sehr persönliches Theaterstück. Mit diesen sieben kunstvoll verflochtenen und modernen Einaktern ist er literarisch in eine neue Welt aufgebrochen, in der weder thematisch noch idiomatisch etwas an seine Verwurzelung mit dem Volkstheater erinnert. Mit "Tödliche Sünden" stellt sich Felix Mitterer auf neue Weise radikal, kompromisslos und mit moralischer Verantwortung unserer Zeit.
Leseprobe
2. UNZUCHT
MANN: All meine Träume, Frau, all meine Träume ... (Weint auf.) Ich will berührt werden, ich will auch berührt werden.
FRAU: Das tut mir leid. Wir können neu beginnen, Mann.
MANN: Wir können nicht neu beginnen, Frau. Das ist das Ende. Ich habe sie alle umgebracht.
FRAU: Wen hast du umgebracht?
MANN: Im Büro. Alle niedergemetzelt. Sie waren mir nicht gut gesinnt.
FRAU: Denk an unser Kind, Mann.
MANN: Ich denk an unser Kind. Immer. Mit großer Sehnsucht. Ich habe es heute verkauft.
FRAU: Du hast unser Kind verkauft?
MANN: Ich habe es am Markt angeboten und an den Meistbietenden verkauft. Das ist meine Rache an dir. Ist mir schwergefallen. Sehr. Das Kind hat mich geliebt. Das Kind hat mich nicht unappetitlich gefunden. Das Kind hat die Dinge mit mir gemacht.
(Sie rast schreiend auf ihn zu, nimmt das Messer, will ihn erstechen, sie ringen miteinander, fallen zu Boden, er ringt sie nieder, entwindet ihr das Messer.)
MANN: Bald darfst du es tun, bald, hab noch etwas Geduld, Frau.
FRAU: Du hast die Dinge mit dem Kind gemacht. Nicht es mit dir.
MANN: Es mit mir. Es hat mich geliebt.
FRAU: Ich schneide dir die Gedärme aus dem Leib.
MANN: Oh ja, bitte, tu es, tu es, nur einen Moment noch, ich muss dich was fragen. Warum so rasend, frage ich dich. Du hast es gewusst, erzähl mir nichts, du musst es gewusst haben, wie oft habe ich das eheliche Schlafgemach verlassen, mitten in der Nacht, und bin erst nach Stunden zurückgekehrt, und du bist da gelegen, in derselben Stellung wie vorher auch, mit dem Rücken zu mir, mit deinem abweisenden Rücken zu mir, deine Wirbelsäule hätte ich umfassen wollen und sie dir herausreißen aus dem Leib, du unbekannte, kalte Frau aus Eisen. Erzähl mir nichts, du hast es gewusst, du hast es geduldet, du hast es zugelassen, damit ich dich in Ruhe lasse, damit ich dir nicht zu nahe komme, unappetitlich. Warum so rasend also, frage ich dich. Du hast es bei mir geduldet, warum nicht auch bei anderen, sind die anderen schlechter als ich, soll es in der Familie bleiben, Frau, in unserer wunderbaren Familie?
(Sie schlägt schreiend auf ihn ein, er überwältigt sie wieder, setzt ihr das Messer an.)
FRAU: Stoß zu, stoß zu, ich will nicht mehr leben.
Rezensionen
Uraufführung: 25.02.1999, Auftragswerk für das Tiroler Landestheater Innsbruck
Regie: Torsten Schilling
… ein Zeitbild von mörderischer Ehrlichkeit. … Mitterer betätigt sich als voyeuristischer Talkmaster und holt das hervor, wonach eine apokalyptische Gesellschaft in grausiger Geilheit giert …
Salzburger Nachrichten, 27.02.1999