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Kaiserverlag

NN 12

Profitheater Dramatik, Zeitstücke
Besetzung: 2D / 2H / 1DEK
Übersetzung:
Aus dem Spanischen von Wolfgang Barth und Markus Steinhoff
Rechte:
Frei zur UA

Eine Gerichtsmedizinerin leitet die Untersuchung, bei der von NN 12, der nicht identifizierten Toten, die wahre Identität gefunden werden soll. Der Sohn der Toten, Esteban, kann nun endlich erfahren, wer seine Mutter und sein Vater waren und was geschah. Ein älterer Mann, dessen Bedeutung für NNs Schicksal nach und nach klar wird, ist weiterhin der Überzeugung, dass das Geschehene notwendig war.
Wenn das Opfer NN 12 am Ende bei verlöschendem Licht, nun mit ihrem richtigen Namen und dankbar für die Ergebnisse der Ermittlungen, wieder ins Dunkel des Todes versinken kann, bleiben Täter und Sohn übrig. Die Gerichtsmedizinerin aber öffnet eine weitere Kiste, um die Identität eines weiteren Opfers herauszufinden.
Diese Geschichte könnte in jedem Land nach einem Kriegszustand oder unter den Bedingungen einer Diktatur stattfinden, in dem es „Verschwundene“ gibt. Dass aber erst vor wenigen Jahren in Spanien damit begonnen wurde, Massengräber aus der Franco-Diktatur zu öffnen, in denen noch mehr als 100.000 nicht identifizierte Opfer ruhen, legt den Bezug zu dieser Epoche der jüngeren europäischen Geschichte nahe.
Ein eindringliches, schonungsloses und politisch brisantes Werk.

Erster Preis der SGAE 2008
Auswahl für das Projekt “Internacionalización de autores teatrales españoles en Brasil” durch Acción Cultural Española, Übersetzung ins Portugiesische und Aufführung in Brasilien
Übersetzung ins Französische 2017 durch Alice Bonnefoi
Auswahl 2019 EURODRAM


Leseprobe

ÄLTERER MANN (nachdem er einen Schluck getrunken hat): Sehen Sie, ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Wenn Sie möchten, können Sie das in Ihrer Reportage schreiben. Ich weiß, was los ist. Ich lese Zeitungen. Zurzeit bemühen sich alle, über die Vergangenheit zu urteilen. Und es werden viele Lügen erzählt.
ESTEBAN: Diese Frau wurde von einem Ihrer Leute erschossen, da gibt es gar keinen Zweifel.
ÄLTERER MANN: Nun, da bin ich mir gar nicht so sicher, vielleicht hat sie jemand der eigenen Seite umgebracht. Was denn. Schauen Sie mich nicht so an. Solche Dinge sind passiert.
ESTEBAN: Sie war Volksschullehrerin. Sie hatte nichts zu tun mit…
ÄLTERER MANN: Na, sie wird schon irgendwie mit ihnen zusammengearbeitet haben. Das haben so einige Zivilisten gemacht. Sie waren nicht bewaffnet und legten keine Bomben, das stimmt, aber sie unterstützten die Gewalt von außen. Indem sie Flüchtige versteckten. Oder als Vermittler… wissen Sie, ich verstehe, dass es Leute gibt, die sich rächen wollen. Das verstehe ich. Der Schmerz, wenn man jemanden verliert … wie sollte ich das nicht verstehen. Auch ich habe das erlebt, auch ich habe Menschen, die mir lieb waren, verloren... Freunde, Kameraden… Aber dass man jetzt anfängt, Sachen zu erfinden, und dass ihr Journalisten das in den Medien auf diese Weise verbreitet, das finde ich falsch. Es ist viel Zeit vergangen. Warum versuchen wir nicht, über diesen Dingen zu stehen?
ESTEBAN: Sie wollen sagen, sie vergessen.
ÄLTERER MANN: Ich will sagen, akzeptieren, dass es für niemanden einfach war. Und dass das, was getan wurde, getan werden musste. Wir trugen Verantwortung. Wir waren Soldaten. Auch wenn ihr das heute nicht versteht. Unter anderem, weil ihr zu jung seid.
ESTEBAN: Ich bin siebenundzwanzig.
ÄLTERER MANN: Sie jetzt leben in einem Land in Frieden, in einem sicheren Land, in dem niemand Angst haben muss. Und diesen Frieden und diese Sicherheit verdanken Sie uns und dem, was wir getan haben.
ESTEBAN: Soll ich Ihnen dankbar sein?
ÄLTERER MANN: Nein. Nicht dankbar. Ich habe nur meine Pflicht getan.