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Kaiserverlag

Ein Jedermann

Profitheater Dramatik, Zeitstücke
Besetzung: 2D / 13H / 1DEK
Typ:
Stück in zwei Teilen

Für Jedermann, den Generaldirektor eines Stahlkonzerns und millionenschweren Magnaten, ist der Tag gekommen, das Zeitliche zu segnen. Die heilige Trinität findet sich samt Tod und Teufel in seiner Chefetage ein, um den Abgang des Kapitalisten zu besprechen. Der Tod, der Jedermann am Ende des Tages abholen wird und der Teufel in seiner Funktion als Versucher bleiben in der Nähe des Abberufenen, während sich die göttliche Triade Vater, Sohn und Heiliger Geist dezent zurückzieht.
An Jedermanns letztem Arbeitstag überhäufen sich die persönlichen Schicksalsschläge und Ereignisse. Der Selbstmord seiner betrogenen Ehefrau, die Verhaftung seines drogendealenden Sohnes, der drohende Ruin durch den Fall der Aktienkurse, Massenproteste der Arbeiter, Bestechungen von Politik und Finanz, der Aufkauf und die Pfändung von Bankrotteuren und Schuldnern sind des Generaldirektors letzte Sorgen. Auch wenn der leibhaftige Teufel als Troubleshooter die Firma mit skrupellosen Waffenschiebereien und Aktienspekulationen wieder sanieren kann, verliert er über Jedermann letztlich die Macht. Als Jedermann zu seinem Geburtstagsfest bettelnde, durch Krieg und Umweltverschmutzung geschädigte Kinder, seine tote Frau und ein Schuldner in einer Vision verfolgen, verschenkt er seinen Trust.
Ein heutiger, ein moderner Jedermann, jedoch trotz Tod und göttlicher Verdammung nicht ohne den Glauben an die Gerechtigkeit und die Einkehr, nicht ohne die leise Hoffnung auf Vergebung.


Leseprobe

JEDERMANN: Ist es Zeit?
TOD: Ja, es ist Zeit.
JEDERMANN: Stört es dich, wenn ich noch eine rauche?
TOD: Aber nein, ich bitte Sie.
JEDERMANN: Das war ein langer Tag.
TOD: Ja. Ein langer Tag.
JEDERMANN: Der längste meines Lebens.
TOD: So ist es immer.
JEDERMANN: Ja?
TOD: Ja. Immer.
JEDERMANN: Kannst du dich erinnern, wie mein Vater gestorben ist?
TOD: Natürlich! Ich war ja dabei.
JEDERMANN: Ja, natürlich!
TOD: In der alter Zentrale. An seinem Schreibtisch.
JEDERMANN: Es ging ganz leicht, nicht?
TOD: Ja, er ist leicht gestorben. Ganz schnell. Ohne Widerstand. Er war alt.
JEDERMANN: Er war anders als ich. Nicht so skrupellos. Ein Vater. Auch seiner Mitarbeiter.
TOD: Das ist die Zeit.
JEDERMANN: Ja. Vielleicht. Eine skrupellose Zeit. – Er hat an Gott geglaubt. Vielleicht war es das.
TOD: Vielleicht, ja.
JEDERMANN: Ich kann nicht an Gott glauben.
TOD: Vielleicht glaubt Gott an Sie, Herr Generaldirektor!
JEDERMANN: Wenn’s so was geben sollte wie Gerechtigkeit, nachher … Dann müsste ich schon kräftig eine draufkriegen. Nicht?
TOD: Ach, es wird nichts so heiß gegessen …
JEDERMANN: Na, dann …
TOD: Es ist gleich vorbei. Keine Angst.
Der Tod berührt Jedermann ganz sachte am linken Arm, Jedermann bekommt einen Herzinfarkt, schnappt nach Luft, hält seine Hand ans Herz, stürzt nieder, liegt zusammengekrümmt und stöhnend am Boden.
TOD: Ist gleich vorbei.



Rezensionen

Uraufführung: 10.01.1991, Theater in der Josefstadt, Wien
Regie: Erwin Steinhauer, Musik: Werner Pirchner

Das mutige Aussprechen skandalöser Verhältnisse ist die Stärke des Stückes.
Dolomiten, 12.01.1991