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Kaiserverlag
Besetzung: 8D / 18H / / Mehrfachbesetzungen
Übersetzung:
Aus dem Russischen neu übersetzt von Tatjana Hofmann
Rechte:
Frei zur UA

Die Kulturfunktionärin Milda, eine Frau „neuen Typs“, sucht für ihre Schwangerschaft einen Erzeuger statt einen Lebenspartner. Kaum Mutter geworden, fährt sie weg. Als sie ihr Kind im Kinderheim besucht, trifft sie dort den Kindesvater wieder und ignoriert seinen Anspruch auf Miterziehung.
Diesen provozierenden und gleichzeitig anregenden Plot garniert der Autor mit Anspielungen auf den sowjetischen Alltag der 1920er Jahre sowie auf eine Vielzahl von Themen und Hypothesen aus Literatur, Kunst und Wissenschaft.
Heute, fast ein Jahrhundert nach seinem Entstehen, kann dieses Stück seine Aktualität vom zeitgenössischen Publikum prüfen lassen, reißt es doch Themen an, die nahtlos in heutige Debatten hinüberführen – weibliche Selbstbestimmung und Geburtenkontrolle, Gesundheitsfragen und Familienplanung, Pränataldiagnostik, Abtreibung und die Auseinandersetzung um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Trotz aller historischen und aktuellen Ernsthaftigkeit ist das Stück auch voller Komik und absurder Momente. Für manche Szenen könnte Daniil Charms Pate gestanden haben.

In einer neuen Bearbeitung und modernen Übersetzung von Tatjana Hofmann
Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, Autorin, Übersetzerin. Studium der Europäischen Ethnologie, Slawistik und Germanistik in Berlin; Promotion in Zürich. Seit 2012 arbeitet sie am Slawischen Seminar der Universität Zürich. Forschungsschwerpunkte: russische, ukrainische und polnische Literaturen und Kulturen, Avantgarde, Intermedialität, Postsozialismus.


Leseprobe

Milda sich umsehend: Ah, Genosse Hausverwalter. Wegen der Heizung? Dort ist irgendwas geplatzt. Sie zeigt in Richtung Zentralheizung.
Hausverwalter Welche Heizung?
Milda Die Zentralheizung. Sie blättert aufmerksam im Buch, antwortet zerstreut.
Hausverwalter Deswegen komme ich nicht. Mein Arbeitstag ist zu
Ende. Darf ich mich setzen?
Milda Bitte … Setzen Sie sich.

Der Hausverwalter schließt die Tür ab und geht an den Tisch.
Milda unterbricht seine Rede mit »Aha … ja … natürlich«.

Hausverwalter Genossin, kennen Sie die Zartova? Sie hat mir viel von Ihnen erzählt. Interessant.
Milda Da haben Sie aber eine Berühmtheit gefunden.
Hausverwalter Sie arbeiten ja ständig. Gönnen Sie sich keine Pause?
Ruhen Sie sich denn niemals aus?
Milda Wenn ich schlafe.
Hausverwalter Und Bier?
Milda Sehr selten.
Hausverwalter Und Theater?
Milda Kann ich nicht leiden.
Hausverwalter Musik?
Milda Mag ich nicht.
Hausverwalter Ich arbeite auch wie ein Tier. Acht Stunden am Tag.
Dafür verstehe ich mich aber auch aufs Erholen. Ohne Amüsement keine Erholung. Doch die Nerven sind hin. Lachen habe ich verlernt, das ist nur noch ein Zähneblecken. Aber wenn man ordentlich einen trinkt … Trinken Sie? Trinken wir vielleicht etwas zusammen? Ich hole was.
Milda Nein.
Hausverwalter Sie hören mir ja gar nicht zu. Sehen Sie, Genossin, was ich Ihnen jetzt sage, wird Ihnen vielleicht seltsam vorkommen … Aber ich kenne Sie als einen absolut vorurteilsfreien Menschen … Das ist kein Kompliment … sondern eine Tatsache. Hören Sie mir zu? Sehen Sie, meine Frau ist vor acht Tagen zu ihrem Vater gefahren … Ich bin allein … Zeit genug, dass ein unzähmbares physisches Verlangen nach einer Frau heranreift … Man geht doch nicht zu einer Prostituierten, das verstehen Sie doch sicher … Ich beobachte Sie seit langem und weiß genau, dass Sie ein gesunder, kräftiger Mensch sind, eine allein- stehende … ausgezeichnete Genossin. Und eine so verständliche Bitte werden Sie einem Genossen doch nicht abschlagen, oder? Das heißt also, wir können?
Milda reißt sich vom Buch los: Entschuldigen Sie, Genosse, ich habe Ihnen nicht richtig zugehört. Seien Sie so freundlich und wiederholen Sie es.
Hausverwalter Teufel noch eins … mit einem Wort … Sehen Sie, mir zittern die Hände, ich bin wie von Sinnen – mei- ne Frau ist verreist – ich brauche eine Frau …
Milda Und was habe ich damit zu tun?
Hausverwalter Aber ich bitte Sie … Sie sind ein lebendiger Mensch … Sie können doch nicht ohne Mann …
nur eine lumpige halbe Stunde … Unter Genossen …
Milda Genosse …
Hausverwalter Ich weiß. Ich werde verrückt. Er fasst ihre Hand. Ich bin
absolut normal, also …
Milda Genosse!
Hausverwalter Wenn Sie auf einen Kranken treffen, dann geben Sie ihm doch Medizin, und wenn Sie einen Hungrigen sehen, würden Sie ihm ein Stück Brot geben, oder?
Milda Dem Kranken würde ich die Erste Hilfe rufen, und den Hungrigen schicke ich zu einer Verpflegungs- stelle, Ihnen aber, Genosse …
Hausverwalter Wovor haben Sie Angst? Vor einem Kind? Keine Angst. Auf Verhütungsmittel verstehe ich mich. Ich habe was dabei … Seien Sie doch nicht so spießig … Wovor haben Sie Angst?
Milda Ich habe keine Angst. Vorm Tripper habe ich Angst.
Gehen Sie auf die Straße oder …
Hausverwalter Oder?
Milda Oder … erledigen Sie die Sache bei sich im Zimmer ohne Frau.
Hausverwalter So. Glauben Sie? Sind Sie davon überzeugt?
Milda Ich glaube, dass Onanie in Ihrem Alter und in Ihrer Lage nur gesund sein kann.
Hausverwalter Das geht Sie gar nichts an. Sie wollen also nicht?
Milda Ich will nicht.
Hausverwalter Idiotische Spießigkeit. Stur und abgeschmackt.
Milda Fertig?
Hausverwalter hält ihr den Mund zu, schleppt sie zum Bett: Zum Teufel … leg dich hin … leg dich hin!
Milda sucht mit der freien Hand nach dem Revolver, findet ihn nicht, fasst aber ein Buch, schlägt den Hausverwalter mit dem Buch in die Rippen und stößt ihn weg.
Milda Raus hier!