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Kaiserverlag

gelbe Tapete, Die

Profitheater Dramatik, Zeitstücke
Autor:
Toni Richter
Besetzung: 2D / 1H / 1DEK
Rechte:
frei zur UA
Typ:
Ein Drama in drei Akten
Bearbeitung:
Frei nach einer Erzählung von Charlotte Perkins Gilman

Ein altes Haus im Kolonialstil.
Ein angesehener Arzt zieht mit seiner Frau für drei Monate aufs Land. Die Frau braucht viel Ruhe, denn ihr ist „nicht wohl.“ Um die Chancen auf eine Genesung ihres mentalen Zustandes zu erhöhen, wird sie von allem abgeschottet. Bis auf die Haushälterin Jenny und Mary, die auf das Baby aufpasst, hat sie nur ihren fürsorglichen Mann um sich. In einem großen Zimmer bleibt sie, zur Untätigkeit verurteilt, sich selbst überlassen. Und mit jedem Tag, der vergeht, wird diese merkwürdige gelbe Tapete mehr zu ihrer Obsession.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts galt die sogenannte rest cure, die „Ruhekur“, als medizinischer Durchbruch zur Behandlung psychischer Krankheiten bei Frauen. Nach Ansicht der gelehrten Männer einer patriarchischen Gesellschaft mussten Hysterie oder Depression mit absoluter Ruhe, viel Schlaf und der unbedingten Vermeidung aller Aufregung und Anstrengung behandelt werden. Dies bedeutete für die Frauen nicht nur die schleichende Entmündigung und das Entfremden vom täglichen Leben, sondern auch das Verbot, sich künstlerisch zu betätigen. Sie durften keinerlei Stimulation erfahren. Was diese Behandlung mit der Psyche der Betroffenen anrichtete, bleibt heute wie damals unbegreiflich Eine Frau hat trotz allem Mut gefunden, zu schreiben. Die Adaption der autobiografisch angelegten Erzählung von Charlotte Perkins Gilman für das Theater soll vor allem die gesellschaftlichen Verhältnisse jener Zeit beleuchten und Denkanstöße für Fragen der Gegenwart aufwerfen.


Leseprobe

Neunte Szene

Es ist Nacht und der Mond scheint ins Zimmer. JOHN und die FRAU liegen im Bett. Er schläft, sie ist wach. Nach einigem Zögern und Starren auf die Tapete, steht sie auf, um näher zu treten. Da wacht JOHN auf.

JOHN Mein Kleines, was machst du?

Pause.

JOHN Du solltest nicht nachts herumlaufen. Du wirst dich verkühlen.

FRAU (zögerlich) Ich dachte … ich hätte etwas gehört.

JOHN Was meinst du? Komm zurück ins Bett. Sei nicht kindisch.

FRAU (kommt langsam zurück ins Bett) Ich dachte, ich hätte das Baby schreien gehört.

JOHN Mary ist unten und kümmert sich. Sie macht ihre Sache gut. Ihm geht es gut. Leg dich wieder schlafen. Genieße den Mondschein mit geschlossenen Augen. Das beruhigt die Fantasien.

FRAU Du, John?

JOHN Was ist?

Pause.

JOHN Soll ich dir etwas vorlesen?

FRAU Ich mag dieses Zimmer nicht. Die Tapete ist grässlich.

JOHN Du störst dich an der Tapete? Dieses Zimmer hat die beste Aussicht und du schaust auf eine Wand?

FRAU Können wir sie nicht runter machen?

Kurze Pause. JOHN zögert.

JOHN Natürlich können wir das.

FRAU (erleichtert) Danke John.

JOHN Jederzeit mein Schatz. Aber glaubst du, dass es für deine Gesundheit wirklich förderlich ist, jeder dieser kleinen Launen nachzugeben?

FRAU Was meinst du?

JOHN Nun. Heute mag es die Tapete sein, die dir nicht gefällt. Und morgen dann vielleicht das Gitter vorm Fenster. Und übermorgen müssen wir die Tür aus den Angeln heben und den Boden neu verlegen lassen. Und so wird es weitergehen. Wir renovieren daheim und nicht hier. Verstehst du, was ich sagen will?

FRAU Ja, ich glaube schon.

JOHN Glaubst du?

FRAU Du hast recht. (sie kuschelt sich unter die Decke, ganz wie ein Kind) Ja, du hast recht John.

JOHN (liebevoll) Das ist mein kleines Mädchen.

Licht aus.