Freigang

Der Architekt Herr Joseph Voss wär' so gerne eine Eiche. Doch dieser Wunsch liegt in weiter Ferne. Nach dem Tod seiner Frau lebt er umgeben von drei geisterähnlichen Erscheinungen, seiner strengen, französischen Haushälterin Nina und seiner nach ihrer Scheidung zurückgekehrten Tochter Bettina, die ihm allesamt sein beschauliches Leben schwer machen. Die drei Geister sind ein Teil von Voss und reflektieren auf rüde Art sein Dasein, geben Ratschläge und verheeren mit aller Regelmäßigkeit die Küche. Mit Nina, die ihn enervierend-hausmeisterlich und mütterlich-dominant umsorgt, verbindet ihn seit ihrer beider Jugend eine gut gehütete Liebe und ein geheimnisvolles Ritual. Abseits dieser häuslichen Gepflogenheiten führt Voss ein Doppelleben. Bei Madame Verve und deren Tochter Ina kann er seit 25 Jahren ein anderer sein. Dort fordert er in einem seiner Küche nachgebildeten Studio von Ina ein Ritual ein, das ihn zur Ekstase bringen soll: Durch einen Türspalt beobachtet er die als jugendliche Nina zurechtgemachte Ina beim Füllen einer bratfertigen Ente. Drapiert mit Ästen, Laub und Baumrinden zittert und raschelt die lächerliche Voss-Eiche verzweifelt einem Höhepunkt entgegen – und scheitert erbärmlich.
Aber dann geschieht das nicht mehr erhoffte Wunder. Zuhause bei seiner Haushälterin Nina, mit der er in jungen Jahren das geheimgehaltene Ritual praktizierte, gelingt die Verwandlung:
Herr Joseph Voss wird eine Eiche …
Mit skurrilem Humor zeichnet Matthias Wittekindt Lebensentwürfe und aberwitzige Sehnsüchte nach Veränderung und Verwandlung nach. "Freigang" ist ein stilles, geheimnisvolles Stück, das, trotz seiner Absurditäten und Irrationalitäten, seinen alternden Protagonisten ernst nimmt und ihn symbolisch einem späten Lebensglück zuführt.